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Films from Ghettos and Camps: Propaganda – Clandestine Messages – Historical Source /

Filme aus den Ghettos und Lagern: Propaganda – Kassiber – historische Quelle

G. Didi-Huberman schreibt in seinem Buch Images malgré tout (2004): „Unser erstes Wissen über die Lager – noch vor den großen Berichten der Überlebenden und den ersten Analyen von Historikern – war ein visuelles, ein aus journalistischen, militärischen und politischen Erwägungen gefiltertes Wissen, und zwar vom Zustand der Zerstörung der Lager durch die Nazis und ihrer Öffnung durch die Alliierten.“ Insbesondere unsere Vorstellung von den von den Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg errichteten Ghettos ist jedoch von Bildern geprägt, die von den Tätern selbst geschossen wurden bzw. eine grausame Wirklichkeit darstellten, die erst durch die künstliche Schaffung  jüdischer Wohnbezirke entstanden war. Zugleich gehören Film und Fotos zu den umstrittensten und zugleich wirksamsten Medien, wenn es um die Repräsentation des „Holocaust“ geht.

Widersprüchliche Foto- und Filmzeugnisse sind aus Theresienstadt überliefert, dem westlichsten aller Ghettos, gelegen im „Protektorat Böhmen und Mähren“. Die Festungsstadt Theresienstadt wurde für viele mitteleuropäische Juden zwischen 1941 und 1945 zur ersten Station auf dem Weg in die Vernichtung. Doch die wichtigste Funktion des Ghettos Theresienstadt war die der Täuschung – das dem Anschein nach friedliche und wohl verwaltete Ghetto diente gegenüber dem Ausland und bei Besuchen des Internationalen Roten Kreuzes als Fassade für die Vernichtungslager im Osten. Da dieser Propagandaerfolg auch nach einer medialen Umsetzung verlangte, wurden verschiedene Filmprojekte in diesem Ghetto geplant und teilweise realisiert, das letzte und aufwändigste hieß Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet (R: Kurt Gerron), besser bekannt unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“.

Im August 2013 wurde eine Ausstellung zu den im Ghetto Theresienstadt entstandenen Filmen und Filmprojekten in der Guttmann-Galerie des Jüdischen Museum eröffnet, begleitet von der Publikation einer DVD mit den erhaltenen Filmfragmenten, Fotos, Drehbüchern, Biografien der Beteiligten und einem Kommentarteil. Die Ausstellung stellt in bezug auf die Ghetto-Filme einen Meilenstein dar: Die mit der Ausstellung verbundene digitale Publikation ist so angelegt, dass die interessierte Öffentlichkeit und Forscher verschiedener Disziplinen erstmals nun Zugang zu dem bisher kaum zugänglichen Material erhalten. Hier werden die Theresienstadt-Filmfragmente in Gänze samt Kommentar präsentiert; ebenfalls neu ist der auf digitalem Träger ermöglichte Zugang zu Dokumenten aus tschechischen, deutschen, US-amerikanischen und weiteren Archiven, die bisher in der Forschung (teilweise) ausgewertet und zitiert, aber nicht publiziert wurden. Als Beispiele kann man das im YIVO-Archiv erhaltene Faksimile von „Ghetto Theresienstadt, Rohentwurf einer Filmreportage“ (1942 auf deutsch verfasst) nennen, Dokumente aus dem tschechischen Archiv der Sicherheitsdienste (Archiv bezpečnostních složek): Jindřich Weils Drehbuch zum Film, der 1944 von Kurt Gerron gedreht wurde oder der „Bericht über den deutschen Propagandafilm Theresienstadt“ des letzten Theresienstädter Judenältesten Benjamin Murmelstein aus dem Jahr 1946. Brisant sind ebenfalls die Dokumente im Zusammenhang mit dem Prozess („Ausserordentliches Volksgericht“), der Karel Pečený,  dem Produzenten der tschechischen Wochenschau Aktualita, aufgrund seiner Kollaboration mit den Besatzern gemacht wurde, und der im März 1947 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Eines davon gibt Aufschluss darüber, dass das „Zentralamt zur Regelung der Judenfrage“, geleitet vom SS-Mann Hans Günther, dem tschechischen Produzenten Pečený 350.000 Kronen schuldig geblieben ist.

Diese Publikationen, zusammen mit der Aufbereitung der Filmfragmente, die das Nationale Filmarchiv (Národní filmový archiv) ermöglicht hat, erfordern eine eingehende Würdigung und Untersuchung durch die internationale Wissenschaft, die sich diesem Material ohne Zweifel mit großem Interesse zuwenden wird. Der Konferenz dient u.a. dem Ziel, die Erforschung und Interpretation der neuen Erkenntnisse auf internationaler Ebene voranzutreiben.

http://www.ehri-project.eu/truth-and-lies-filming-terez%C3%ADn-ghetto-1942-1945

Die Kuratorinnen und Autoren der Begleittexte sind Eva Strusková (Nationales Filmarchiv, Prag), Tomáš Fedorovič (Památník Terezín) und Jana Šplíchalová (Jüdisches Museum, Prag). Diese Ausstellung ist im Sommer 2014 in den Magdeburger Baracken des Památník Terezín zu sehen und bildet einen wichtige Basis für die Konferenz.

Anlässlich des 70. Jahrestags der Dreharbeiten zu Kurt Gerrons Theresienstadtfilm (August/September 1944) möchten wir also zu einer  Konferenz einladen, die sich zum einen dem in der Ausstellung präsentierten Material widmet, zum anderen allgemeine Rückschlüsse auf Filme aus Konzentrationslagern bzw. Ghettos zulässt.

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Die Konferenz beschäftigt sich mit den „geheimen Botschaften“ visueller Art, die die Insassin und Filmregisseurin Irena Dodalová im Rahmen ihrer Arbeit an einem Ghettofilm anfertigen konnte. Die Detailanalysen der überlieferten Bruchstücke durch die Prager Filmhistorikerin Eva Strusková waren ein erster Schritt, gegen die ,Unlesbarkeit‘ der als Propaganda verstandenen Filmfragmente anzugehen. So ist auch ein Ziel der Konferenz, das Faktum der Bild-Kassiber, also der hinausgeschmuggelten ,wahren‘ Filmbilder von Theresienstadt öffentlich zu diskutieren. Die Hypothese zu den im Ghetto angefertigten bzw. beiseite gebrachten Filmaufnahmen als Medium des wahrhaftigen Zeugnisses wurde in der Forschung zu Bildaufnahmen aus Ghettos und Lagern bisher noch nicht in ihrer ganzen Tragweite wahrgenommen. In diesem Kontext wird sich die Frage nach Widerstand und Komplizenschaft stellen, den beiden Polen, zwischen denen sich die Arbeit der Filmemacher und Künstler in den Lagern bewegt hat.

Auf der Konferenz werden wir die Kassiber-These erörtern, die sich auf Zeugnisse von Mitgliedern der tschechischen Crew stützt, die das Herausschmuggelns der Filmausschnitte belegen; sie wirft ein anderes Licht auf die Filmprojekte insgesamt, die in der tschechischen Kultur oft als schandvolle Kollaboration mit der SS gebrandmarkt werden. Dieser sich aus dem speziell (Film-)Geschichtlichen ergebende Aspekt wird also sowohl Fragen ethischer Art als auch des illegal mit Kameras erstellten Zeugnisses mit Hilfe von Filmbildern anschneiden. In den meisten Darstellungen des Gerron-Films wird der audiovisuellen Komplexität dieser überwiegend von den jüdischen Ghetto-Insassen und zum Drehen ins Ghetto gebrachten Tschechen des Aktualita-Teams gedrehten Filme nicht Rechnung getragen.

Die Konferenz setzt sich weiter zum Ziel, allgemein festzulegen, unter welchen Bedingungen Fotos und Film als historische Quelle verwendet werden können, und welche Autorschaften hier aus medialer Hinsicht zu berücksichtigen sind. Hier steht in gewisser Weise auch das kunsthistorische Herangehen eines Didi-Huberman an die Interpretation von Bildern dem überkommenen Studium schriftlicher Quellen entgegen. Die Filmbilder und -töne aus Theresienstadt enthalten mehr als das, was die SS mit ihnen vorhatte. Hier wird auch die bisher nicht gestellte Frage nach der Ästhetik der im Lager geschaffenen Filme aufgeworfen. Damit sind wir bereits im Bereich der Rezeptionsgeschichte dieser Filme. Der Blick auf die Filme aus diesem Ghetto selbst darf ein anderer als ein rein politischer und historischer sein, der meist das “Propagandistische” und Zynische der Unternehmung betont. Im Kontext der aktuellen Diskussion um Bilddokumente aus Lagern müsste man das Filmmaterial auch als einzigartiges filmisches Dokument zur Bemühung um eine (Selbst-)Repräsentation “jüdischer Selbstverwaltung” gegen Ende des Krieges analysieren, freilich nie ohne zu vergessen, dass all dies nur möglich war im Kontext der geplanten Ausnützung dieser Bemühung durch die SS und unter großen Opfern.

Zugleich soll die Konferenz anhand der Theresienstädter Filmprojekte alle potentiellen Problemkreise umreissen, vor die uns Bildmaterial aus den Ghettos und Lagern stellt – ein Thema, das gerade auch in bezug auf die politische Bildung, die Bilder und Filme verwendet, eine große Rolle spielt. Diskutiert wird das Filmkorpus aus nationalsozialistischen Ghettos insgesamt, das bisher weder im Zusammenhang oder in der historischen Entwicklung von den frühen Aufnahmen im besetzten Polen bis zu den späten Filmvorführungen für das Internationale Rote Kreuz im Frühling 1945 analysiert wurde. Sowohl die düstere Greuelpropaganda aus den Ghettos in Polen als auch die sonnig-idyllischen Bilder aus dem „Siedlungsgebiet Theresienstadt“ (aufgenommen im Sommer 1944) sind von den Nationalsozialisten autorisierte Propagandastreifen – jedoch mit einer jeweils unterschiedlichen Ikonographie und Strategie. Die Fragen nach den Funktionen und dem intendierten Publikum von Ghettofilmen wird  die Konferenz im Allgemeinen als auch in konkreter Anwendung auf den Spezialfall Theresienstadt behandeln.

Die Vorträge werden ergänzt durch einen Runden Tisch “Kompromittierte Filme”, der unter Beteiligung von Vertretern der Archive das Thema der Vorbehaltsfilme und von an Zwangsorten gemachter Filme diskutiert.

Natascha Drubek